KREIDLER
Das Flory-Töffli, das Florett-RS-Kraftrad sowie das Motorvelo K50 sind bis heute unvergessen und waren die Flaggschiffe des Mofaherstellers aus Kornwestheim. Bis zum heutigen Tag zählen diese und noch weitere Mofa-Modelle der Marke zu den beliebten Klassikern und erfreuen sich grosser Beliebtheit. Leider hat das 1903 gegründete Unternehmen heute wie so viele Töfflihersteller den Betrieb und die Produktion nach mehreren Konkursen im Jahr 1982 endgültig eingestellt. Wir stellen dir den Hersteller und seine bekanntesten Modelle etwas genauer vor.
Sitz | |
Status | Nicht aktiv |
Gründung | 1903 |
Vom Metallbetrieb zur Zweiradschmiede
Slow Riding Culture war nie die vorherrschende Firmenphilosophie bei Kreidler, ganz im Gegenteil. Mofas und Zweiräder des Herstellers aus dem schwäbischen Städtchen Kornwestheim sollten immer vor allem schnell sein – und das waren sie auch. Jedes Töfflimeitli und jeder Töfflibuebe kennt mit Sicherheit die Rekordfahrt der Kreidler-Zigarre im Jahr 1965 auf dem Great Salt Lake im US-Bundesstaat Utah, auf die wir später noch kommen. Doch angefangen hat der Hersteller als recht gewöhnlicher Betrieb zur Metallverarbeitung. Die Ursprünge des Unternehmens sind also vergleichsweise bieder und beschaulich, als Spezialist für Kupferseile und Messingstangen für Überland-Elektroleitungen wurde das Unternehmen im Jahr 1903 im schwäbischen Stuttgart gegründet. Auch mit dem damals recht neuen Werkstoff Aluminium experimentierte man in den Fertigungshallen des schwäbischen Herstellers bereits. Doch erst als der rennsportbegeisterte Sohn des Firmengründers Anton Kreidler im Jahr 1924 in das Unternehmen einstieg, entdeckte man auch in Kornwestheim das Geschäft mit schnellen Rennmotorrädern. Allerdings waren die ersten 350-cm³-Maschinen, die man damals in Kornwestheim baute, nur ein kleiner Nebenerwerb bzw. eine technische Spielerei des Sohnes Alfred Kreidler. Das ändert sich erst, als dieser nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1942 die Leitung der Firmengeschicke übernahm.
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Die ersten Töfflis und Motorvelos
Nach Kriegsende und Wiederaufbau der Firma stieg man bei dem Hersteller voll in die Entwicklung von Krafträdern mit 50-cm³-Motor ein. Das Motorvelo K50 oder, wie man im Deutschen sagt, Motorfahrrad, war das erste, serienmässig gefertigte Zweirad, das die Werkshallen verliess. Der 1-Zylinder-Motor verfügte über 50 cm³ und leistete etwa 2 PS bei 5000 U/min, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 bis 55 km/h war das K50-Mofa recht flott unterwegs. Die K50-Modelle lieferten also eine Leistung, die es mit den damals üblichen 98 cm³-Motorvelos durchaus aufnehmen konnte. Auch wenn es echte Töfflimeitli und Töfflibuebe nur am Rande interessieren wird, fast zeitgleich brachte der Fahrzeughersteller mit der Amazone einen Motorroller auf den Markt, der ebenfalls mit dem K50-Aggregat motorisiert war. Die K50-Mofas sowie das Nachfolgemodell K51, das bereits damals serienmässig mit Fussrasten und Kickstartmechanismus ausgestattet war, erfreuten sich grosser Beliebtheit. Denn diesen ersten Kreidler-Töfflis eilte der Ruf voraus, sehr robust, leistungsstark und vergleichsweise günstig zu sein.
Das legendäre Kreidler Flory-Mofa
Jedes Töfflimeitli und jeder Töfflibuebe weiss, dass Kreidler nicht nur besonders schnelle Zweiräder gebaut hat, auch wenn der Hersteller, wie wir dir noch berichten werden, genau dafür berühmt wurde. Das erste offizielle Mofa, denn bei Lancierung der oben beschriebenen K50-Velomotorräder gab es besagte Fahrzeugklasse noch nicht offiziell, war das Modell MF 4, das von 1969 bis 1975 gebaut wurde. Wie es für alle Modelle des Herstellers typisch ist, wurde der D 15.02-2-Takter mit einem Zylinder liegend verbaut. Besonders innovativ war bei diesem Hödi der neuartige Leichtmetallzylinder, mit dem das Töffli solide 1,5 PS lieferte. Insgesamt verkaufte Kreidler von dem MF4 über 55.000 Exemplare. Die Nachfolgemodelle ab 1975 firmierten unter dem Namen Kreidler Flory MF 12 bzw. MF13 und ab 1977 Flory MF23. Die verschiedenen Ausführungen unterschieden sich, was die Leistung betrifft, nur marginal, diese lag bei 1,5 PS. Alle Ausführungen erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h. Nach dem späteren Konkurs der schwäbischen Mofaschmiede im Jahr 1982 wurden die Töfflis noch 3 weitere Jahre von der italienischen Zweiradschmiede Garelli vermarktet. Allerdings war bei diesen späten Flory-Töfflis nur die Seitenverkleidung und der Tank modellgetreu, das restliche Mofa war ein seriengefertigtes Garelli-Modell.
Need for Speed – die Florett-Baureihe
Zu den legendärsten Modellen des Kornwestheimer Zweiradherstellers gehören aber mit Sicherheit auch Zweiräder der Florett-Reihe. Die ersten mit dem K54-Aggregat motorisierten Zweiräder dieser Familie kamen 1957 auf den Markt. Streng genommen handelte es sich bei den meisten Ausführungen nicht um waschechte Töfflis, sondern um Kleinkrafträder. Allerdings gab es die Florett mit K54 Motor auch als Mofaversion, deren Produktion allerdings ab dem Jahr 1962 eingestellt wurde. Mit der Florett-Reihe setzte man bei Kreidler voll auf Leistungssteigerung und Geschwindigkeit. Bereits im Jahr 1960 rüstete man die Zweiräder ordentlich nach, sodass der liegend eingebaute, gebläsegekühlte Einzylinder-2-Taktmotor fortan 3,6 PS leistete, zwei weitere Jahre später stockte man die Leistung auf nunmehr 4,2 PS auf. Die Variante Florett Super TS schraubte die Motorleistung im Jahr 1966 mit 5,2 PS weiter in die Höhe und die GT- und RS-Modelle setzten im Folgejahr mit 5,3 PS sogar noch einen drauf. Diese Entwicklung gipfelte in der Lancierung des Kreidler Florett RS Kleinkraftrads, das von 1967 bis 1981 gebaut und von dem über 125.000 Exemplare verkauft wurden. Dieses schnellste jemals von Kreidler gebaute Zweirad lief in den Versionen, die nach 1970 gebaut wurden, sagenhafte 85 km/h.
Ein Stück Rennsportgeschichte – der Weltrekord von Utah
Hintergrund dieser fast enthemmten Leistungssteigerung war eine gesetzliche Regelung in Deutschland, die umgangssprachlich auch als „Lex Kreidler“ bezeichnet wurde. Nach dieser Regel gab es für Kleinkrafträder ab dem Jahr 1954 keine Begrenzungen, was Geschwindigkeit und Leistungsstärke des Motors betrifft. Die einzige Einschränkung für die offenen Kleinkrafträder, wie diese Zweiräder auch genannt wurden, war die Limitierung des Aggregats auf 50 cm³. Höher, schneller und weiter, so lautete die Zielsetzung in jenen Jahren, so kam es auch zu jener legendären Rekordfahrt im Jahr 1965, bei der ein auf 12,5 PS hochgetunter 2-Takter ein umgebautes und stromlinienförmig verkleidetes Florett-Zweirad auf die sagenhafte Geschwindigkeit von 225,3 km/h katapultierte – bis heute Weltrekord für 50-cm³-Motoren. Damit brach die Kreidler-Zigarre bei der Fahrt auf dem Lake Bonneville in Utah die zuvor von NSU aufgestellte Bestleistung von 196 km/h.
Sehnsuchtsmofas aus Kornwestheim
Aus heutiger Sicht mutet diese Jagd nach Rekorden und schnelleren Zweiräder für alle Freunde der gelebten Slow Riding Culture vielleicht etwas antiquiert an. Aber die Zweiräder von Kreidler waren in der Zeit des Töffli-Booms Ausdruck einer besonderen Sehnsucht. Wie Puch-, Piaggio oder Pony-Mofas verband sich auch mit den Mofas aus Kornwestheim der Wunsch nach Freiheit, nach individueller Mobilität und der Wille, der manchmal etwas zu engen Welt zu entkommen. Besonders auf den Leichtkrafträdern des Herstellers war das für die jungen Töfflimeitli und Töfflibuebe jener Tage möglich, eben nur etwas schneller als auf den Konkurrenzmodellen aus der Schweiz, Österreich oder aus Italien.